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Die Ortung der Stille - Alexander von Schlippenbach und der Free Jazz

Im Rückblick auf die 60er Jahre wird häufig Ihre Pionierarbeit für den Free Jazz hervorgehoben. Die öffentliche Anerkennung blieb Ihnen zunächst allerdings oft versagt. Haben Sie Ihre Musik damals als Provokation verstanden?

Ich habe meine Musik nie und nimmer als Provokation verstanden. Bei mir ist alles nur aus rein musikalischer Notwendigkeit passiert. Dass manches davon im damaligen Musikbetrieb als Provokation angesehen wurde, ließ sich vielleicht nicht vermeiden, aber es war niemals meine Absicht.

Lässt sich das Publikum heute noch provozieren? Konkret gefragt: Wann haben Sie zum letzten Mal erlebt, dass Sie mit dem, was Sie spielen, anstoßen?

Man kann heute kaum noch jemanden mit Musik erschrecken, und provozieren allenfalls durch sehr Anspruchsvolles. Angestoßen sind wir vor vielen Jahren beim Jazzfestival in Bombay, wo das Konzert von GLOBE UNITY am nächsten Tag in den Zeitungen mit balkenhohen Lettern als „Intolerable Kakophonie“ apostrophiert und das Goethe-Institut in diesem Zusammenhang des „Kulturimperialismus“ geziehen wurde. Später gab es bei einem Festival in Leipzig einen Kritiker, der von einer „apokalyptischen Nabelschau der Free Jazz-Heroen“ und „Stätte des Grauens“ berichtete. Aber das ist lange her.

Mussten Sie sich oft anhören, elitär zu sein?

Nein, - und wenn ich darauf angesprochen werde, weiß ich Herbert von Karajan zu zitieren: „Nein, wir sind nicht elitär, wir sind superelitär.“

Woran lässt sich erkennen, ob jemand im Free Jazz blufft oder Großartiges leistet? 

Na einfach an dem, was und wie einer spielt. Wenn man etwas von musikalischer Technik versteht, kann man unter anderem unter diesem Aspektbeurteilen. Ansonsten braucht man nur genau zuzuhören, ob der Darbietende etwas zu sagen hat. Bluff fliegt in der Musik zumeist schnell auf und erledigt sich von selbst.

Free Jazz ist nach meinem Eindruck immer noch eine der wenigen Spielarten des Jazz, der das Publikum zum Johlen bringen kann. Sind Sie manchmal selbst überrascht von den Reaktionen? 

Unter bestimmten Umständen kann man das Publikum eventuell mit Free Jazz zum Johlen bringen. Erstrebenswerter und schwerer ist es, das Publikum durch die Qualität der Musik zum Zuhören zu bringen, so dass es ganz still wird.

Ich kann mir vorstellen, dass zum Free Jazz, der ja immer noch „swingt“, ein bestimmter energetischer Zustand gehört, den ich als Schnellkraft bezeichnen würde. Was aus der Improvisation hervorgeht, muss blitzschnell erfasst werden. Sonst vergeht es unbemerkt.

Anstatt „Schnellkraft“ sollte man besser „vorwärts treibende Kraft“ sagen. Das gilt übrigens ganz grundsätzlich für Jazz überhaupt. Bei der Ensemble-Improvisation geht es in der Tat um das schnelle Aufgreifen wesentlicher Impulse. Sie vergehen nicht unbemerkt, aber der Spieler kann die Chance verpassen, im richtigen Moment etwas Entscheidendes einzubringen. Das wäre so einer der Fehler, die man da machen kann.

Wenn es gut läuft, geschieht das schnelle Aufgreifen und Weiterverarbeiten der Impulse wie von selbst, und wenn die frei werdenden Kräfte sich im Zusammenspiel potenzieren, entstehen die Höhepunkte.

Sie bevorzugen die musikalische Großform, ein Set besteht bei Ihnen meist aus einem langen, durchgehend improvisierten Stück. So ein Konzert mit zwei Sets ist für die Musiker psychisch, aber auch physisch sicher anstrengend. Fühlen Sie nach danach erst einmal völlig leer?

Wenn man mit den richtigen Leuten spielt und es gut läuft, ist es nicht anstrengend. Man verausgabt sich natürlich und da kann nach einem Konzert durchaus ein Gefühl von Leere aufkommen.

Glauben Sie, dass Free Jazz etwas Reinigendes haben kann?

Ja, unbedingt!

Ihr Trio mit dem Saxofonisten Evan Parker und dem Drummer Paul Lovens besteht bereits seit 1970. Widerspricht das nicht dem Selbstverständnis der einsamen und freien Free Jazzer?

„Das Selbstverständnis des einsamen und freien Free-Jazzers“ ist eine ebenso romantische wie irreführende Vorstellung, um nicht zu sagen ein völlig falsches Klischee. Passt vielleicht besser bei Schriftstellern, Malern und Komponisten. Jazzmusiker arbeiten gern und besonders intensiv zusammen – in welcher Form auch immer. Parker und Lovens und ich spielen schon so lange zusammen, weil wir festgestellt haben, dass es aus verschiedenen Gründen gut funktioniert und wir erreicht haben, dass unser frei improvisierter Jazz heute einen festen Boden unter den Füßen hat, sich durchsetzt und, wenn wir gut spielen, auch verstanden wird.

Auch bei Ihren Tourneen und bei der Wahl der Auftrittsorte scheint Ihnen Kontinuität wichtig zu sein. Seit den frühen 1980er Jahren ist das Schlippenbach Trio in regelmäßigen Abständen von zwei bis drei Jahren im Bamberger Jazzclub zu Gast.

Wir haben mehrere Auftrittsorte, an denen wir fast jedes Jahr spielen. Nach Bamberg kommen wir 2014.

Ich finde es interessant, dass Sie ein Faible für Bebop haben, wie Ihre Einspielungen mit Werken von Thelonious Monk zeigen. Mit Ihrer Frau Aki Takase und Ihrem Sohn Vincent alias DJ Ill Vibe haben Sie 2005 zudem eine gemeinsame Platte aufgenommen, bei der Sie Jazz mit elektronischer Musik kombinieren. Ihre musikalischen Interessen scheinen ja ziemlich vielseitig zu sein.

Ja, ich habe vielseitige musikalische Interessen. Mit dem Trio „Lok3“ (4-händiges, präpariertes Klavier und DJ Ill Vibe, Turntables) haben wir eine live-improvisierte Musik zu dem Film „Symphonie der Großstadt“ gespielt und eine CD für „Leo Records“ produziert. Die Turntables kommen in „Real-Time“ zum Einsatz, also keine elektronischen Beats. Auch spiele ich gerne verschiedene klassische Jazzstücke, unter anderem von Herbie Nichols, Monk und Eric Dolphy.

Bei welcher Musik fühlen Sie sich am wohlsten?

Am wohlsten fühle ich mich, wenn ich zu Hause durch die Wand höre, wie Aki in unserem Musikzimmer Beethoven übt. Ansonsten habe ich es ganz gerne auch ohne Musik.