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Die Ohren und Köpfe aufsperren - Henning Sieverts und die Nachwuchsförderung

Sie waren bereits 13 Mal als Musiker zu Gast im Jazzclub (Stand 2024). Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Mal?

Im Januar 1990 war das. Ich erinnere mich sogar noch recht genau. Ich quälte mich mit Kontrabass und Verstärker die enge Kellertreppe hinunter und kam in eine düstere Räucherkammer. Die Wände waren schwarz gestrichen und mit einer dicken Schicht aus altem Zigarettenqualm imprägniert. Das Konzert-Erlebnis war dann aber toll, begeistertes und aufmerksames Publikum, herzliche Betreuung an der Bar. Und so habe ich den Jazzkeller seitdem zig Mal erlebt. Ich bin als Musiker wirklich schon viel in der Welt herumgekommen, aber nach Bamberg komme ich besonders gerne.

2009 erhielt der Jazzclub den Kulturpreis der Stadt Bamberg. In Ihrer Laudatio sprachen Sie über eine weitverbreitete Angst: die Angst vor dem Jazz. Was meinen Sie damit?

Keine Melodie, kein Rhythmus, Chaos – so lautet häufig das Urteil über diese Musik. Dabei ist Jazz genauso wenig chaotisch wie etwa das Treiben in einem Bienenstock oder in einem Ameisenhaufen. Jazzmusiker spielen nicht wild durcheinander, sie hören aufeinander und kommunizieren aufmerksam und beachten dabei viele Regeln und Gesetze: rhythmisch, melodisch und harmonisch. Innerhalb dieser Regeln bewegen sich Jazzmusiker dann mit beneidenswerter Freiheit – als Komponisten des Augenblicks! 

Welches Gefühl gibt Ihnen diese Freiheit?

Aus der Musikerperspektive kann ich sagen: Improvisieren ist zwar riskant und manchmal anstrengend, aber es macht glücklich, und dies Abend für Abend versuchen zu dürfen, ist ein großes Geschenk. Und da gibt es doch eine Sorge: Die Haare des Publikums werden immer grauer, junge Köpfe verirren sich nur selten in den Jazzkeller.

Warum ist das so? Wie müsste ein Jazzclub heute aussehen, damit vermehrt auch junge Menschen gerne die Stufen hinab strömen?

Wenn ich eine sichere Antwort wüsste, würde ich sie Ihnen gerne mitteilen. Es liegt jedenfalls nicht daran, dass es keinen MusikerInnen-Nachwuchs gäbe – an den Schulen, den Musikschulen und dann auch an den Hochschulen lernen mehr junge Menschen als je zuvor, klassische Musik, aber auch Rock, Pop und natürlich auch Jazz, auch wenn dies durch die gerade umgesetzte Schulreform in Bayern gefährdet wird. Mein 13-jähriger Sohn etwa hat in der 8. Klasse seines Münchner Gymnasiums nicht mehr eine Stunde Kunst und eine Stunde Musik in der Woche, sondern die Hälfte: ein Halbjahr nur Kunst und gar keine Musik, das zweite Halbjahr umgekehrt. Das ist eine Schande und ein komplett falsches Signal. In der Schule geht es nicht primär um Stoff-Vermittlung, sondern um Persönlichkeitsbildung, um fit zu werden für die Zukunft, und was ist dafür besser geeignet als eine starke Kreativität? Mittelfristig wird es dadurch vermutlich noch weniger Jugendliche geben, die mit Kunst und Kultur etwas anfangen können.

Die Schule könnte das Nachwuchsproblem allein aber nicht lösen.

Es gibt sicher nicht DIE eine Lösung für das Nachwuchsproblem. Die Gründe sind vermutlich vielschichtig und schwer zu greifen. Oft ist es ganz einfach Unkenntnis, dass es so ein Live-Musik-Angebot gibt. Ich habe als Dozent an der Musikhochschule schon häufiger erlebt, dass Jugendliche in ein Jazzkonzert kommen, zum Beispiel als Klassen-Ausflug im Musikunterricht, und dann nach dem Konzert erstaunlich begeistert sind nach dem Motto: Mensch, Jazz ist ja gar nicht so blöd und langweilig, wie wir gedacht haben.

Warum wiederholt sich das nicht bei anderen Hörer-Gruppen?

Ich beobachte eine allgemeine Tendenz in allen Kultursparten: Die Lust, sich auf - auf den ersten Blick - Anstrengendes einzulassen, hat abgenommen, und das gilt nicht nur für die Jungen. Das Zauberwort heißt überall: niederschwelliger Zugang. Das meint: Alle sollen leicht zum Ziel kommen, bloß: Wenn die Musik so leicht verdaulich wird, wo ist dann die Musik geblieben, für die es sich lohnt, die Ohren und die Köpfe aufzusperren?

Das macht es für Musiker mit hohem Anspruch nicht gerade leichter. Lässt Sie das manchmal zweifeln an dem, was Sie tun?

Wir MusikerInnen sollten weiter DIE Musik spielen, die wir lieben und die von Herzen kommt, auch wenn man sich Mühe geben muss, sich auf sie einzulassen. Es geht darum, wieder mehr Leute zu erreichen, die sich diese Mühe machen wollen.

Der Jazzclub hat aktuell - Stand November 2024 - rund 550 Mitglieder. Das ist für eine Stadt wie Bamberg viel. Relativiert sich dadurch die Herausforderung?

Ja, die Zahl der Mitglieder ist hoch. Doch um das Überleben des Clubs zu sichern, könnten es noch mehr sein. Der Jahresbeitrag ist moderat: 50 Euro für Erwachsene, 20 Euro für Familienmitglieder oder auch für Studierende, SchülerInnen und Auszubildende. Ich denke, das kann sich jeder leisten. Diese Mitgliedsbeiträge geben dem Jazzclub Stabilität und Planungssicherheit. Bambergs ehemaligen Bürgermeister Werner Hipelius habe ich bei meiner Laudatio auf den Jazzclub 2009 einen Mitgliedsantrag überreicht – er war noch nicht Mitglied! Und wie ich von der Ersten Vorsitzenden Marianne Benz erfahren habe, ist er heute immer noch dabei. Es wäre toll, wenn sich viele von denen, die noch nicht Mitglied sind, spontan zu einer Mitgliedschaft entscheiden.